Tod einer Zwiderwurzn

Also kehrte Quirin zum Tatort zurück, wo die Spurensicherung inzwischen zugange war, während der Streifenbeamte die Badegäste befragte, deren Angaben notierte und sie dann nach Hause schickte. Für heute war der Badespaß vorbei. Es dauerte nicht lange, da waren zwei weitere Beamte da, um Wecker zu unterstützen
Gerade überlegte Quirin, wie er sich am besten nützlich machen konnte, als er einen Edelmann aus dem späten Mittelalter herantreten sah. Zu einem schwarzen Samtrock, der bis zu den Oberschenkeln fiel und weite, geschlitzte Ärmel hatte, trug er schwarze Strumpfhosen und eine auffällige, prunkvolle Kette aus Gold und Edelsteinen. Die schwere Kleidung war denkbar unpassend bei diesem Wetter, und der Träger hatte entsprechend einen ziemlich roten Kopf, und dicke Schweißperlen standen ihm auf der Stirn
Quirin schaute nochmal hin. Den Mann kannte er doch – diese ausgeprägte Hakennase, den gepflegten, dunklen Vollbart und die buschigen Augenbrauen. Kein Zweifel, das war Staatsanwalt Höppner. Aber was machte der denn hier und dann auch noch in diesem Aufzug
Ach ja, stimmt ja, er hatte in der Zeitung darüber gelesen: Höppner hatte bei den diesjährigen Agnes-Bernauer-Festspielen die Rolle des Erzschurken, des Herzogs Ernst, übernommen
Die gebürtige Augsburgerin Agnes Bernauer war die Gattin des bayerischen Herzogs Albrecht III in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts gewesen. Als Tochter eines Baders – und damit vielleicht sogar als Hure angesehen – war das kaum eine standesgemäße Verbindung. Albrechts Vater Ernst, Herzog von Bayern-Straubing und Graf von Holland, Zeeland und Hennegau, lockte daher seinen Sohn aus dem Schloss in Straubing, wo der mit seiner Frau lebte, verurteilte Agnes in dessen Abwesenheit kurzerhand zum Tode und ließ sie in der Donau ertränken. Agnes Bernauers Geschichte wurde jetzt alle vier Jahre im Hof des Herzogschlosses bei den Agnes-Bernauer-Festspielen von Laienschauspielern in Szene gesetzt. Und dieses Mal stellte Höppner den unerbittlichen Herzog Ernst dar. Nun, seine stattliche Erscheinung passte da sehr gut. Aber begannen die Vorführungen nicht erst in ein paar Tagen? Warum lief Höppner dann schon jetzt in voller Montur herum
Quirin kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn der Staatsanwalt baute sich vor ihm auf und musterte ihn von oben bis unten
„Übertreiben Sie es nicht etwas mit dem Zivil, Kammermeier?“, fragte er barsch
Der hatte es gerade nötig! Quirin sah an sich herunter. Natürlich, er trug noch seine Badehose. Aber bestimmt besser als eine Samttunika. Er hob den Blick wieder und grinste schief
„Hab mich eben möglichst gut in die Stimmung versetzt“, sagte er
Höppner kniff einen Moment die Augen zusammen, doch dann schmunzelte er: „Und? Hat's geholfen?
„Nicht wirklich.“ Quirin schüttelte bedauernd den Kopf. „Wenn es tatsächlich eine Vergiftung war, müssen wir wohl von einem Verbrechen ausgehen.
„Kein Selbstmord?
„Mitten in einem Freibad? Kann ich mir nicht vorstellen. Wer würde denn mit einer Giftkapsel oder was auch immer am Sonntag ins Freibad gehen und sich dann zwischen all den Badegästen umbringen, ohne einen Mucks zu sagen.
„Hm. Da könnten Sie Recht haben. Und, haben Sie sich schon selbst in Dienst gesetzt? Wenigstens innerlich?“ Ein weiterer Blick auf Quirins Badehose. „Wie praktisch, dass Sie so schnell vor Ort waren. Na, mit Schwimmen wird’s heute eh nichts mehr werden.
„Also, erstmal muss ja wohl der Leichenbeschauer ...“, protestierte Quirin, aber der Staatsanwalt winkte mit einem Grinsen ab
„Sie haben bestimmt Recht. Hier liegt ein Verbrechen vor. Und offensichtlich kein Raub ...“ Höppner deutete auf einen Mann von der Spurensicherung, der gerade das Portemonnaie der Toten eintütete. „Die Dame muss jemanden sehr verärgert haben.
„Da gehört mehr als Ärger dazu, wenn man jemanden so in aller Öffentlichkeit um die Ecke bringt“, urteilte Quirin.
Dann machte er sich mit einem Seufzer auf den Weg zu den Umkleidekabinen.