Erkül Bwaroo und der Mord im Onyx-Express

Als Bwaroo mich aus dem Bett klopfte, fühlte ich mich trotz der unruhigen vergangenen Nacht angenehm erfrischt und ausgeruht. Da störte es mich auch nicht weiter, dass die Wolken, die mittlerweile aufgezogen waren, sich inzwischen entluden und dicke Tropfen auf den Zug einprasselten. Ich machte rasch Toilette und folgte meinem alten Freund dann in den Speisewagen.

Gutgelaunt bestellte ich bei Elly Eier mit Schinken und Hagebuttentee. Bwaroo verzog das Gesicht.
„Wie können Sie nur diesen entsetzlichen Tee trinken?“, wunderte er sich.
„Mir schmeckt er“, meinte ich nur.
Mein alter Freund hat eine ausgesprochene Abneigung gegen diese Sorte Tee. Dummerweise hat es sich eingebürgert, dass Gästen in der Regel gerade dieser Tee serviert wird. Es gehört sozusagen zum guten Ton. Resigniert schüttelte er nun den Kopf und orderte dann für sich selbst einen Kräutertee.
„Dazu zwei weichgekochte Eier“, bat er, „das Eiweiß gestockt, aber das Eigelb noch flüssig. Und die beiden Eier müssen gleich groß sein.“
Elly sah ein wenig verständnislos drein, nickte aber.
„Ich werde es Meister Bleibtreu ausrichten“, versprach sie und eilte in Richtung Küche, nicht ohne jedoch vorher noch kurz bei Gerdel Gneiß stehen zu bleiben, der sich ausführlich von ihr beraten ließ, was sie ihm denn so zum Frühstück empfehlen könne. Er gab sich unschlüssig und brachte sie zum Lachen. Schließlich einigte man sich auf Brötchen und ein Omelette mit Speck und Pilzen.
Während wir auf unser Frühstück warteten, blickte ich aus dem Fenster. Bei schönem Wetter hätte man die Berge des Naumtalgebirges am Horizont erkennen müssen, allen voran den höchsten Berg des Landes, den Hutler, der Sommer wie Winter mit Schnee bedeckt ist. Doch bei diesem Wetter ließen sich die Berge noch nicht einmal erahnen. Die Weinberge waren inzwischen in den Hintergrund gewichen, und nun fuhren wir durch flaches Land mit hin und wieder einem Wäldchen und vereinzelten Weilern, die sich ebenso unter dem Regen zusammenzuducken schienen wie die Tiere und Wesen, die der Regen im Freien überrascht hatte. Gelegentlich konnte man im Vorbeifahren eines sehen, wie es unter Bäumen und Büschen Schutz suchte. Alles war grau und schien irgendwie unscharf. Bald langweilte mich dieser trostlose Anblick, und ich sah mich wie schon gestern im Wagen um.
Die beiden Quentals waren bereits da und ließen sich Toast mit Butter und Konfitüre schmecken. Helmer saß an seinem gewohnten Platz, einen riesigen Berg Rührei vor sich, dem er mit gutem Appetit zusprach. Und dann kam Berenice Arundel herein. Diesmal wehte kein Schal hinter ihr her. Auch der dunkelblaue Umhang, den sie achtlos über die Schultern geworfen hatte, bauschte sich nicht, sondern hing traurig an ihr herunter. Ich erschrak, als ich sie so sah. Denn sie war sehr blass, hatte dunkle Schatten unter den Augen und einen blauen Fleck am Arm und schleppte sich geradezu zu ihrem Platz. Unwillkürlich rechnete ich damit, dass sie gleich zusammenbrach, und wollte aufstehen, um ihr zu helfen. Doch Bwaroo war schneller. Auch ihm war ihr mitleiderregender Zustand aufgefallen, und er war aufgesprungen, um zu ihr zu eilen.
„Madame, was ist Ihnen geschehen?“, fragte er besorgt und fasste sie am Ellenbogen, um sie zu stützen. Er wandte sich mir zu und rief mich als Arzt dazu. Bestürzt, nicht gleich selbst daran gedacht zu haben, erhob ich mich. Doch die Operndiva machte eine ablehnende Handbewegung.
„Kein Arzt. Es ist nichts“, stöhnte sie.
Da war auch schon Monica an ihrer Seite.
„Du lieber Himmel, was ist passiert, Berenice?“, rief sie erschrocken aus. „Bist du gestürzt? Wurdest du überfallen?“
„Ach nein“, antwortete die Sängerin mit leidender Stimme. „Aber ich habe keine Sekunde schlafen können. Irgendetwas Hartes ist in meinem Bett. Aber ich konnte es nicht finden. Ach, und du weißt doch, was für eine empfindliche Konstitution ich habe ...“
Die Arundel nickte Bwaroo dankbar zu. Ich konnte jedoch sehen, dass sie ihn dabei aufmerksam von oben bis unten musterte. So schlimm konnte ihr Zustand also doch nicht sein. Bwaroos maßgeschneiderter Anzug und seine makellose Erscheinung schienen ihr zu imponieren, denn sie lehnte sich Halt suchend an ihn und ließ sich von ihm zu ihrem Platz führen. Mein Freund half ihr fürsorglich auf ihren Stuhl und nickte dann Monica zu, die ihn dankbar anlächelte. Dann kehrte er an unseren Tisch zurück.
„Impressionnante, sehr beeindruckend“, sagte er.
Ich verstand nicht, was er damit meinte. Dachte er vielleicht, der Auftritt der Sängerin war nur gespielt? Der blaue Fleck und die dunklen Ringe unter den Augen schienen mir durchaus echt zu sein. Sie hatte natürlich sehr übertrieben, wenn sie gespielt hatte, aber beeindruckend fand ich das eigentlich nicht. Eher schnell durchschaubar. Aber ich kam nicht dazu, meinen Freund genauer zu befragen, denn unser Frühstück kam und Bwaroo machte sich sogleich daran zu überprüfen, ob die bestellten Eier tatsächlich gleich groß waren. So gern ich ihn habe, muss ich doch sagen, dass mein alter Freund ein paar doch recht seltsame Eigenarten hat. So ist er von Symmetrie und Ordnung geradezu besessen. In seinem Haus in Laundom ist alles streng geordnet, auf seinem Schreibtisch liegen die einzelnen Gegenstände in exakt rechtem Winkel zueinander. Die Figuren auf dem Kaminsims stehen in genau gleichem Abstand zueinander, und zwar immer zwei gleiche Figuren gespiegelt. Auch Kurven sind Bwaroo ein Gräuel. Seine Möbel sind alle eckig. Ich glaube, das einzig Runde dort ist er selbst, denn er hat schon ein stattliches Bäuchlein und sein Kopf ist unleugbar eierförmig.
Bwaroos Manie für Symmetrie kommt überall durch, sogar beim Frühstück. Ich habe schon einmal erlebt, dass er sich furchtbar aufregte, weil sein Toast nicht genau quadratisch war. Und nun verglich er also mit Hingabe die beiden bestellten Eier. Er legte sogar sein Messer quer darüber, um zu sehen, ob sie wirklich gleich groß waren. Erst danach war er zufrieden und schlug das erste auf.
„Magnifique!“, strahlte er dann.
Irgendwie war ich erleichtert und machte mich in gehobener Stimmung an meine eigenen Eier mit Schinken. Währenddessen kamen nach und nach auch die anderen Passagiere in den Speisewagen. Nur Heribert Selb fehlte, was vielleicht der Grund für die grimmige Miene seiner Frau war. Und auch der Platz von Moris Kreidell am Tisch neben uns blieb leer.
„Wohl beide Langschläfer“, bemerkte ich.
„Möglich“, stimmte Bwaroo mir zu.
In diesem Moment ertönte aus dem benachbarten Waggon ein Schrei.
Im Speisewagen war es schlagartig still, und alle schauten zum Durchgang. Nur Bwaroo war bereits aufgesprungen und eilte in Richtung des Schreis. Es ist bemerkenswert, wie schnell und wendig dieser kleine, rundliche Elf sein kann, wenn er es will. Ich stürzte hinter ihm her und sah aus den Augenwinkeln, dass Gneiß wiederum mir eilig folgte. Wir mussten nicht weit laufen. Tony stand wie vom Donner gerührt vor der offenen Tür von Kabine 4 und starrte hinein.